Seite anzeigenÄltere VersionenLinks hierherNach oben Diese Seite ist nicht editierbar. Du kannst den Quelltext sehen, jedoch nicht verändern. Kontaktiere den Administrator, wenn du glaubst, dass hier ein Fehler vorliegt. ====== Gemeinde Cham ====== ===== Zukunftswerkstätten und deren Bedeutung ===== **Wie bereits im Gemeindeinfo Nr. 78 zu lesen war, fanden in Cham in verschiedenen Schulhäusern so genannte Zukunftswerkstätten für Primarschülerinnen und Primarschüler statt. Diese wurden im rahmen der aktuellen Ortsplanungsrevision von der Jugend- und Gemeinwesenarbeit organisiert und durchgeführt, um auch die Stimmen der Kinder in den Planungsprozess für das raumentwicklungskonzept und somit die räumliche Entwicklung von Cham miteinzubeziehen.** Doch was ist eine Zukunftswerkstatt überhaupt? Wie ist eine solche ausgestaltet, wozu dient sie und welche resultate liefert sie? Auf diese und weitere Aspekte soll im Folgenden genauer eingegangen werden. ==== Weshalb eine Zukunftswerkstatt? ==== Auf diese Frage gibt es viele Antworten, die sich auf unterschiedliche Ebenen und Sachverhalte beziehen. So sind auf einer rechtlichen Ebene zum einen die UN-Kinderrechte zu erwähnen. 1997 hat die Schweiz die UN-Kinderrechte ratifiziert. Darin ist unter Artikel 12 das recht des Kindes auf Mitbestimmung verankert. Zum anderen gibt es in der Schweiz seit dem 1. Januar 2013 das Kinder- und Jugendförderungsgesetz (KJFG). Als Zweck ist unter Artikel 2 festgehalten, dass der Bund «die ausserschulische Arbeit mit Kindern und Jugendlichen fördern und dazu beitragen will, dass Kinder und Jugendliche sich zu Personen entwickeln, die Verantwortung für sich selber und für die Gemeinschaft übernehmen (lit. a) und sich sozial, kulturell und politisch integrieren können (lit. b). Auf Gemeindeebene sind zum anderen die Legislaturziele zu erwähnen. Der Einwohnergemeinde Cham ist die Beteiligung von Kindern wichtig. Dazu wurde ein klares Legislaturziel formuliert, wonach Kinder in ihrem recht zur Beteiligung unterstützt werden. Es ist somit richtig und wichtig, Zukunftswerkstätten in regelmässigen Abständen durchzuführen. Zwei teilnehmende Mädchen (7 und 9 Jahre alt) waren positiv überrascht, dass sie mitmachen durften. Sie hätten nie gedacht, dass Kinder dies überhaupt dürfen. Zudem ist die Methodik einer Zukunftswerkstatt so aufgebaut, dass grundsätzlich alle Personen in der Lage sind, etwas zum Prozess und somit zum resultat beizutragen. Sie nutzt verschiedene kreative Mittel, um das «Gedanken zu Papier bringen» zu erleichtern resp. zu fördern. ==== Was ist eine Zukunftswerkstatt? Wie funktioniert sie? ==== Die Methode der Zukunftswerkstatt wurde in den 60er-Jahren von Robert Jungk, einem Publizisten und Zukunftsforscher, entwickelt. Über Partizipation wollte er die Verbesserung gesellschaftlicher Zustände im ökologischen und sozialen Bereich sowie die Weiterentwicklung der Demokratie erreichen. Die Methode der Zukunftswerkstatt vertritt die Haltung, dass alle teilnehmenden Personen eigentliche Expertinnen und Experten des vorgegebenen Themas sind, weshalb das Alter der Beteiligten nicht relevant ist. Dadurch gibt es keine Hierarchie innerhalb der Projektgruppe. Teilnehmende sollen gleichzeitig Lehrende und Lernende sein. Das somit vorhandene Expertenwissen soll entsprechend abgefragt und genutzt werden. Der deutsche Pädagoge und Kulturtheoretiker Prof. Dr. Kersten reich von der Universität zu Köln beschreibt die Zukunftswerkstatt in seinem Methodenpool ausführlich ((Quelle: reich, K. (Hg.): Methodenpool. in:methodenpool.uni-koeln.de)). Methodisch ist die Zukunftswerkstatt in drei Hauptphasen unterteilt: * **Kritikphase** Wie der Name schon sagt, kann in dieser Phase die aktuelle Situation des vorgegebenen Themas kritisiert werden. Es soll alles, was einem auf dem Herzen liegt, so präzise wie möglich formuliert werden. Diese Kritikpunkte werden zu Problembereichen zusammengefasst. Die Gruppe kann dann priorisieren, welche dieser Bereiche in der anschliessenden Fantasiephase bearbeitet werden sollen. * **Fantasiephase** Während dieser Phase gibt es kein «Geht nicht», kein «Aber», kein «Das ist unrealistisch». Die Kritikpunkte werden ins kompromisslos Positive gewendet und alles ist möglich. Der Fantasie kann freien Lauf gelassen werden. Dadurch entstehen interessante ideen und Gedanken. * **Verwirklichungsphase** in der letzten der drei Hauptphasen geht es im Anschluss darum, die Fantasie in die realität zu transportieren. Dazu ist ebenfalls viel Kreativität und Fantasie gefragt, denn es werden Lösungsideen gesucht, die den aktuellen Status positiv verändern, aber trotzdem realisierbar sind. Wie die Wünsche und Bedürfnisse in der Fantasie- und der Verwirklichungsphase ausgedrückt werden, können die Teilnehmenden selbst entscheiden. Es besteht die Möglichkeit zu zeichnen, zu basteln, zu modellieren, zu schreiben etc. Somit können alle die Ausdrucksweise wählen, die ihnen am besten entspricht und in welcher sie sich am wohlsten fühlen. ==== Welche Resultate liefert eine Zukunftswerkstatt? ==== Durch die Art, wie gefragt und was vorgegeben wird, können die resultate ganz unterschiedlich ausfallen. in Cham wurde versucht, mit einer sozial- räumlichen Fragestellung zu arbeiten. Die Kinder durften sich also dazu äussern, wie sich Cham (im öffentlichen raum) verändern soll. Durch die offene Fragestellung und Herangehensweise waren auch die Wünsche und Bedürfnisse der Kinder entspre- chend breit gestreut. Drei Themen stachen jedoch an beiden Veranstaltungen besonders hervor: - Sport und Bewegung - Umweltschutz - Sicherheit im Verkehr Auch in diesen Kategorien gingen die konkreten Wünsche stark auseinander. Es gab z. B. in der Kate- gorie «Sicherheit im Verkehr» Aussagen zu explizi- ten Orten, die noch einen Fussgängerstreifen oder mehr Licht auf dem Schulweg forderten. Es wurde aber auch einfach der Wunsch nach weniger Ver- kehr geäussert. Die resultate der Zukunftswerkstätten wurden dem Projektteam übermittelt, welches sich mit dem raumentwicklungskonzept beschäftigt. Dieses hat anschliessend versucht, die ideen und Bedürfnisse der Kinder in das raumentwicklungskonzept zu in- tegrieren resp. diese darin abzubilden. Wie die Be- dürfnisse der Kinder am besten integriert werden konnten und inwieweit sie sich mit denjenigen der erwachsenen Mitwirkenden decken, wird am kom- menden zweiten Mitwirkungsanlass zum raument- wicklungskonzept gezeigt. Diese «Ergebniskonfe- renz» zum raumentwicklungskonzept findet am Dienstagabend, 1. September 2020, statt. Alle inter- essierten Personen sind herzlich eingeladen. Die Kinderzeichnungen, welche aus der Verwirkli- chungsphase der Zukunftswerkstatt resultierten, werden analog und digital ausgestellt. Einerseits sind die resultate unter www.cham.ch online ein- sehbar, andererseits sind die Plakate ab Mittwoch, 2. September 2020, im rahmen einer Ausstellung im Mandelhof aufgehängt. ==== Können Kinder solch komplexe Fragestellungen schon beantworten? ==== Die resultate zeigen: Ja, die Kinder können das. Sie haben sich sehr viele Gedanken über die Zukunft gemacht, über neue Mobilitätskonzepte, über einen neuen umgang mit der Natur, über Verkehrswege und Verkehrsnetze, über Sport und Bewegung und noch vieles mehr. Zur Einstimmung auf den Tag hat die Jugend- und Gemeinwesenarbeit die Kinder gefragt, auf was sie sich freuen und was sie von diesem Tag erwarten. Die Antworten haben gezeigt, dass die Kinder eine gute Vorstellung davon hatten, um was es geht. Zehn Teilnehmende haben geschrieben, dass sie sich auf den Tag freuen, weil sie mitbestimmen, die Zukunft von Cham mitgestalten und ihrer Fantasie freien Lauf lassen können. Nach der Zukunftswerkstatt wurden die Kinder gefragt, wie ihnen der Tag gefallen hat und was sie davon halten, in diesem rahmen mitwirken zu können. Ein Mädchen erlebte die Möglichkeit zur Mitsprache als eine Art von Gleichberechtigung den Kindern gegenüber. Andere Kinder empfanden die Zukunftswerkstatt als toll, da sie nie gedacht hätten, dass Kinder ebenfalls mitreden dürfen. und sie fanden es wichtig, dass Kinder selber sagen dürfen, was sie möchten und nicht nur Erwachsene bestimmen, was sie bekommen sollen. Zudem sei es cool, dass allenfalls Sachen entstehen, von denen die Kinder wissen, dass sie sich das (mit-)ausgedacht haben. So hoffte einer der Teilnehmenden dann auch, «dass mindestens ein realistischer Vorschlag ein bisschen durchgesetzt werden kann». Die Aussagen zeigen, dass Kinder durchaus über komplexe Fragen nachdenken und mitdiskutieren können. Zudem wird deutlich, dass sie bei Themen, welche sie betreffen, gerne befragt werden und dass sie es schätzen, wenn ihre Meinung ernst genommen wird. Im rahmen der Zukunftswerkstatt konnte in kurzer Zeit mit den Kindern bereits die zweite Stufe der Partizipation erreicht werden. Sie konnten bei der Planung, wie sich Cham in Zukunft räumlich entwickeln soll, mitwirken. Bei der Mitentscheidung, ob das raumentwicklungskonzept (rEK) die Bedürfnisse abdeckt, sind sie hingegen ausgeschlossen, da sie an der Gemeindeversammlung nicht darüber abstimmen dürfen. in einzelnen Schritten innerhalb der Zukunftswerkstatt wurde auch Stufe drei erreicht, da sie selbst abgestimmt und entschieden haben, an welchen Themen sie weiterarbeiten möchten. Dieses kurzzeitige Erreichen der dritten Par ti zi pa tions stu fe ist aber auf das eigentliche Ziel der Zukunftswerkstatt bezogen irrelevant. in einem Schülerinnen- und Schülerrat resp. einem Delegiertengremium dürfen die Kinder im Bereich ihrer Schuleinheit ebenfalls mitwirken (Stufe 2). Wieviel Entscheidungsmacht (Stufe 3) sie innehaben, hängt jeweils stark vom entsprechenden Projekt ab. Insgesamt könnten somit weitere Gefässe dazu dienen, Kinder noch mehr und in einer regelmässigkeit einzubeziehen. Die Jugend- und Gemeinwesenarbeit eruiert auch im Hinblick auf das vom Gemeinderat formulierte Legislaturziel, wie die Kinderpartizipation in Cham weiter verankert werden könnte. ==== Übung macht den Meister ==== Die ersten Zukunftswerkstätten in Cham haben aber auch gezeigt, dass dieses Vorgehen noch nicht selbstverständlich ist. Eigene Bedürfnisse zu formulieren und zu argumentieren bereitet vielen Menschen grundsätzlich Schwierigkeiten, da wir uns dies oft nicht gewohnt sind. Kinder haben erfahrungsgemäss noch weniger Berührungspunkte mit solchen Entwicklungsprozessen. Deshalb macht es Sinn, Partizipation zu üben und zu schulen. Die Mitgliedschaft in einem von der Schule geleitetem und organisiertem Schülerinnen- und Schülerrat oder einem Delegiertengremium bereitet Kinder bereits ein erstes Mal darauf vor. Andere Schweizer Städte und Gemeinden kennen auch weitere Gefässe, um in diesem Bereich noch mehr Übung und (Selbst-)Sicherheit zu bekommen und zu lernen, wie die eigenen ideen vertreten und argumentiert werden können. Als Exempel sei hier z. B. ein Kinder- und Jugendparlament genannt. Dabei lernen sich Kinder oder Jugendliche aus verschiedenen Schuleinheiten einerseits kennen und müssen andererseits ihre ideen gegenüber unbekannten vertreten. Zudem werden mit einem Kinderparlament Bedürfnisse aus verschiedenen Quartieren gesammelt und miteinander abgeglichen. Die Kinder erhalten Einfluss auf die Gestaltung der Gemeinde, in der sie leben. Die Zukunftswerkstätten in Cham haben spannende resultate geliefert und den Kindern auf verschiedene Art und Weise Freude bereitet. Sie haben erlebt, dass auch ihre Bedürfnisse gehört werden wollen. Die Jugend- und Gemeinwesenarbeit wird das Thema der Kinderpartizipation deshalb weiter fördern und weitere Möglichkeiten eruieren, damit auch den jüngsten Chamerinnen und Chamern eine Stimme gegeben werden kann. Dieser Artikel ist in der Gemeindeinfo Nr. 80 im Juni 2020 erschienen: http://www.cham.ch/_docn/2665162/Gemeindeinfo_80.pdf beispiel/cham.txt Zuletzt geändert: 2024/11/29 10:09von maus